Disclaimer siehe Fanfiction-Seite.

Dies ist meine allererste Fanfiction, die ich je geschrieben habe. Obwohl ich noch gar nicht wusste, was ich überhaupt schreiben wollte, tippte ich einfach los. Hier seht ihr das Ergebnis. Aus ein paar Sätzen, die ich damals im Kopf hatte, wurde eine mehrteilige Serie, bei der ich mich vor lauter Plot-Bunnies kaum retten kann.

Besonderes Dankeschön an meine Beta-Readerin Chance. Sie stand mir von Anfang an zur Seite und beriet mich, wo sie nur konnte! Danke Chance, du bist Schuld, dass ich nun Fanfictions schreibe - ich hoffe, dass ist dir bewusst ;o)

Achtung: Spoiler für "Der tödliche Jaguar"(Sentinel Too)! Viele Handlungsstränge dieser Fiction werden später wieder aufgegriffen oder erst richtig behandelt.

Dann viel Spaß beim Lesen und mir läge viel daran, zu erfahren, ob jemand das Zeug liest, was ich hier schreibe. Also - mailt mir, bis meine Mailbox überquillt! :o)


Flashbacks und Visionen

Teil 1 der
gleichnamigen Serie


von Fraggle

Beta-Read von Chance


März / April 2000



Kapitel 1


Jim und Blair traten Seite an Seite aus dem Polizeihauptquartier. Cascade war bereits in Dunkelheit gehüllt. Die vielen beleuchteten Fenster aus den Hochhäusern, die Lichter der Autos und die Neon-Reklamen ließen die Stadt dennoch in einem Meer von Farben erleuchten. Ein beeindruckender Anblick, dessen Schönheit die beiden ungleichen Partner aber nicht eines Blickes würdigten. Es war ein alltäglicher Anblick geworden, nicht zuletzt durch die vergangenen vier Tage, an denen die beiden immer erst so spät aus dem Gebäude kamen - Überstunden.

Blair hatte den Blick etwas gesenkt, er war müde und wollte nur noch nach Hause. Seinem Kollegen erging es nicht anders, auch ihn hatten die letzten Tage geschlaucht. Dennoch, Jim rannte förmlich zum Truck, Blair hatte alle Mühe hinterherzukommen. Er wusste genau, warum sein Partner so schnell zu Fuß war: Er war aufgebracht. Das war jetzt schon der vierte Tag an dem sie beide fieberhaft an diesem Fall arbeiteten. Zuerst erschien er wie auch jeder andere, ein Routinefall: Ein Mann wurde erdrosselt in seinem Haus aufgefunden. Doch der Mörder war sehr vorsichtig, er hinterließ nicht eine Spur. Selbst Jims geschärfte Augen fanden nichts, nicht einen einzigen Hinweis auf den Täter.

Mittlerweile hatten die beiden den Wagen erreicht. Jim riss die Tür auf, stieg ein und knallte sie neben sich wieder zu. Unmittelbar danach folgte auch Blair, er schnallte sich an und wartete darauf, dass sein Kollege losfuhr. Aber der saß einfach nur da und starrte ins Leere.

Na schön, dachte sich Blair, dann warten wir halt einen Moment. Ist vielleicht nicht schlecht, wenn er sich erst einmal ein wenig abreagiert...

Blair seufzte, morgen hätte er wieder ein paar Vorlesungen, würde sie wohl aber absagen müssen. Eigentlich eine gelungene Abwechslung, aber dennoch fiel es ihm schwer, Jim den Fall alleine weiter bearbeiten zu lassen, gerade nach dem heutigen Tag. Ellison war wie ausgewechselt, nicht nur einfach mürrisch oder schlechter Laune, er war schon regelrecht unausstehlich. Er motzte alles und jeden an und niemand konnte ihm etwas recht machen. Selbst Blair blieb nicht verschont, im Gegenteil, er bekam heute eine Abfuhr nach der nächsten. So hatte er den Sentinel noch nie erlebt. Mehrmals hatte er versucht, Jim darauf anzusprechen, aber vergebens, alles was er zu hören bekam, war, dass er nicht den Psychiater spielen sollte und wenn er nicht bald damit aufhören würde, könnte er gehen.

Ein Blick auf die Armbanduhr verriet Blair, dass sie nun schon fast fünf Minuten schweigend im Truck saßen. Er schielte zu seinem Partner rüber, der scheinbar unverändert seinen Blick auf einen imaginären Punkt in der Dunkelheit fixierte.

"Hey, alles in Ordnung?", unterbrach Blair in besorgtem Ton die anhaltende Stille - keine Antwort.

"Jim?"

Immer noch keine Reaktion.

Nachdenklich ließ Blair seinen Blick zum rechten Seitenfenster schweifen. Was jetzt? Wollte Jim nicht mit ihm reden? Er versuchte Jims Blick zu verfolgen, aber sah nichts als diese unendliche Finsternis.

Noch immer keine Reaktion.

Plötzlich schoss ihm ein Gedanke durch den Kopf: Jim hatte die Kontrolle verloren, er hatte einen 'Zone-out'! Wie lange war das letzte Mal wohl schon her? Ein oder zwei Jahre vielleicht? Blair war festen Glaubens, Jim wäre darüber hinweg gewesen, er hätte diesen Faktor des Realitätsverlustes beseitigt, ihn unter Kontrolle...

Er musste etwas unternehmen.

"Jim, hören Sie mir jetzt genau zu: Sie müssen sich konzentrieren, versuchen Sie, Ihren geschärften Augensinn runterzudrehen und sich auf Ihre anderen Sinne zu konzentrieren." Blair sprach ruhig und sanft, wohl wissend, dass es die einzige Möglichkeit war, den Sentinel aus dieser Lage herauszuholen. "Folgen Sie mit Ihrem Gehör dem Klang meiner Stimme und kommen Sie wieder zur Realität zurück, ich weiß, dass Sie es schaffen, man!" Langsam wurde er unruhig, der Sentinel war jetzt schon über fünf Minuten weg. Wieso war ihm das nicht schon früher aufgefallen?

"Ok, konzentrieren Sie sich, ich weiß, Sie können das, Jim. Ich habe keine Lust hier zu übernachten!"

- Nichts -

Nervös strich sich Blair durchs Haar. Was nun? Er versuchte seinen Freund leicht an der Schulter zu berühren. Eigentlich genau die falsche Vorgehensweise, aber was blieb ihm anderes übrig?

"Jim? Nun kommen Sie schon, Jim!" Er rüttelte stärker.

Plötzlich schlug der Sentinel seine Augen nieder, er schüttelte sich und runzelte die Stirn, als hätte er keine Ahnung, was eben vorgefallen war.

"Gott sei Dank! Man, Sie haben mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt! Machen Sie das nicht noch einmal, Ok?"

Verwundert blickte Jim ihn an, wovon sprach der Junge bloß? "Was ist denn passiert, Häuptling? Was soll ich nicht noch einmal machen?"

"Sie hatten gezonet, waren für knapp fünf Minuten weggetreten. Ich bekam es schon fast mit der Panik zu tun!" Blair seufzte, er war froh, dass Jim wieder mit ihm sprach, diese Stille war unerträglich. "Haben Sie irgend etwas gesehen oder gehört? Oder was war los?"

Der Sentinel blickte überrascht seinen Partner an. Er war weggetreten? Ehrlich? Er konnte sich an gar nichts erinnern...

"Jim, was ist nun?" Erwartungsvoll betrachtete Blair seinen Freund.

"Ich kann mich an nichts erinnern, habe keine Ahnung, was passiert ist..", gab er kleinlaut zu.

Blair senkte den Blick und versuchte ruhig und sachlich zu bleiben: "Was ist das Letzte, an das Sie sich erinnern können?"

"Ich, ähm... Also, wir kamen aus dem Gebäude und gingen zum Wagen, ich stieg ein und... Weiter kann ich mich nicht erinnern."

"Und Sie haben nichts Besonderes gesehen, gehört oder sogar gerochen? Irgendetwas?"

Jim seufzte, er hasste es, wenn der Junge mit seinen wissenschaftlichen Fragen kam.

"Hören Sie, lassen Sie uns einfach nach Hause fahren. Ich bin müde, vielleicht bin ich einfach überarbeitet." Er steckte den Schlüssel, den er noch immer in der Hand hielt, in das Zündschloss und drehte ihn um. Der Motor sprang direkt an.

"Vielleicht sollte ich lieber fahren, für den Fall, dass Sie wieder..."

"Kommt überhaupt nicht in Frage, Sie wissen genau, dass ich Sie nicht ans Steuer lasse!", fiel Jim Blair ins Wort.

"Jim, Sie können das nicht einfach so auf die leichte Schulter nehmen. Dafür muss es einen Grund geben! Ich meine, wie lange ist es schon her, als Sie das letzte Mal die Kontrolle verloren haben? Mehrere Jahre!"

"Schön, Darwin. Wie wäre es, wenn wir diese Unterhaltung einfach auf morgen verschieben, hm? Alles, was ich jetzt möchte ist eine Mütze voll Schlaf und Sie sehen so aus, als könnten Sie die auch gebrauchen!" Mit diesen Worten lenkte er den Ford auf die Straße, Richtung Loft.

"Hey, was wollen Sie denn damit andeuten?", gab Blair lachend zurück.

"Das soll bedeuten, dass Sie mit Ihrem momentanen Anblick besser kein Mädchen zum Essen ausführen!", scherzte Jim verschmitzt.

"Ach und Sie glauben, Sie seien eine Augenweide, wie?", konterte Blair. Was war denn plötzlich los mit ihm, gerade sprach Jim kein Wort mit ihm und jetzt schien er bester Laune zu sein? "Ok, aber gleich morgen früh sprechen wir über den Vorfall von eben", fügte er noch schnell hinzu um auf das Wesentliche zurückzukommen. Jim nickte nur kurz zustimmend.

Kaum war der Wagen außer Reichweite, trat in der Garage, nur wenige Meter von dem nun frei gewordenen Parkplatz, eine Person aus dem Dunkel der Nacht ins Dämmerlicht. Es waren die Konturen einer Frau zu erkennen...




Cascade Police Department - 7:32 Uhr in der Früh

"Jim, nun kommen Sie schon, Sie haben selbst gesagt, dass wir heute darüber sprechen wollen!" Wütend rannte Blair seinem Partner hinterher, der Sentinel nahm seine Zone-outs nicht ernst.

"Häuptling, wenn Sie nicht gleich damit aufhören, dann schmeiße ich Sie wegen Behinderung der Ermittlungen in einem Mordfall hier raus und das ist mein Ernst, verstanden?" Jim drehte sich zu Blair um, der ihm dicht auf den Versen in den Fahrstuhl gefolgt war. Wütend blickte er ihn von oben herab an. Wieso behandelte der Junge ihn immer wie ein Versuchskaninchen? Wenn er sagte, es sei alles in Ordnung, hatte er ihm das zu glauben und kein "aber", basta!

Blair setzte zu einem letzten Versuch an und hob die Hände um seine Argumente zu untermauern. Dann betrachtete er kurz seinen Partner und sah in seinem mahnenden Blick, dass er es wirklich ernst meinte. Kleinlaut senkte Blair seine Arme und schaute zu Boden.

Was war bloß los mit ihm? Er kannte Jim jetzt schon ziemlich lange und auch sehr gut, so mochte er behaupten. Er hatte ja vielleicht schon mal so seine Tage, an denen er etwas mürrisch war, aber die letzten waren ja doch extrem und dann gestern diese plötzliche ‚Wandlung’...!?

Vorsichtig blickte er zu seinem Freund auf. Freund, Jim war sein Freund. Und wenn er in der Klemme saß, war es seine verdammte Pflicht ihm zu helfen. Nicht nur als sein Guide und Partner, sondern besonders als Freund, auch wenn es ihm nicht bewusst war und er sich auch nicht helfen lassen wollte. Dafür waren Freunde ja da!

Der Fahrstuhl hielt und die Türen öffneten sich seitlich. Jim stürmte förmlich auf das Büro von Simon zu, erneut hatte Blair Probleme hinterherzukommen.

Ok, Blair, überleg mal scharf. Was könnte ihn als Sentinel aus dem Gleichgewicht bringen? Vielleicht hat er irgend etwas merkwürdiges zu sich genommen oder... oder es ist wirklich einfach nur der Stress.

"Sandburg, hören Sie mir überhaupt zu?" Simons Stimme schien durch die halbe Abteilung zu hallen. Blair schreckte auf, wurde aus seinen Gedanken gerissen. Ihm war gar nicht bewusst, dass sie schon im Büro des Captains standen.

"Entschuldigung, Simon. Was sagten Sie?"

"Immer noch Captain Banks für Sie und ob Sie schon mal in der Universität nachgefragt haben, ob dort jemand das letzte Opfer näher kannte?"

‚Das letzte Opfer’ - Für den Polizeiberater war das mehr als nur ein Opfer, er kannte den Mann, wenn auch nur flüchtig. Ein Mann von Dreien, wie sich bisher herausgestellt hatte. Jessie Templeton war Referent an der Hochschule in Washington, bevor er letzte Woche aufgrund eines Angebots der Rainier Universität hier herzog. Er hätte in zwei Tagen anfangen sollen zu arbeiten. "Nein Sir, tut mir leid, ich hatte noch nicht die Möglichkeit..."

"Worauf warten Sie dann noch, auf, auf!" Simon ließ den Jungen gar nicht erst aussprechen, alle waren hier gereizt, nicht nur Jim...

"Ähm... Captain, was dagegen, wenn ich mich noch mal in der Zwischenzeit in Templetons Wohnung umschaue?", meldete sich nun Jim zu Wort.

"Ok, direkt, nachdem Sie beide von der Befragung zurück sind. Obwohl ich nicht glaube, dass Sie heute mehr finden werden, als gestern, aber wenn Sie wollen..."

"Simon, ich dachte vielmehr daran, alleine dorthin zu fahren, während Sandburg zur Universität fährt und sich da durchfragt", gab Jim simpel von sich. Überrascht blickte Blair zu seinem größerem Partner hoch. Er saß auf der Tischkante, während Jim sich gegen die Fensterwand lehnte. "Ich könnte ihn zu Hause raus lassen und er nimmt seinen eigenen Wagen, er kommt schon allein zurecht."

Nun war auch Simon verdutzt. Hatten die beiden sich etwa gestritten? "Nun, wenn Sandburg nichts dagegen einzuwenden hat..."

Blair schielte noch einmal zu Jim hoch, keine Reaktion. Er wollte ihn einfach nicht dabei haben und allein arbeiten. Vielleicht auch besser so, wer weiß... Er könnte sich in aller Ruhe überlegen, was hier gespielt wurde. Andererseits, was war, wenn er wieder einen Blackout bekam? Ok, die Wohnung zu untersuchen dürfte kaum gefährlich werden, aber dennoch, wenn anderen etwas auffallen würde und...

"Da Sandburg offensichtlich nichts dagegen einzuwenden hat, können wir ja los!" Jim machte sich in Richtung Tür an Blair vorbei, ohne ihn nur für eine Sekunde zu beachten und lief raus. Blair wollte noch schnell etwas dazu erwidern, ließ es dann aber und stand auf um den Anschluss nicht zu verlieren.

"Sandburg, einen Moment noch." Simon setzte sich hinter seinen Schreibtisch und wartete, bis Blair sich ihm wieder zuwendete. "Was ist los mit Ihnen beiden, haben Sie sich verkracht?" Der Captain visierte Blair streng an. Dieser hatte keine Ahnung, was er Banks erzählen sollte. Eigentlich hätte Simon ja ein Anrecht darauf zu erfahren, wenn einer seiner Detectives Probleme hatte, besonders bei Jim mit seinen 'Besonderheiten'. Und genau das erwartete er ja jetzt von ihm, dass er ihm sagen würde, was los sei. Wenn er aber jetzt von dem Blackout erzählte, dürfte Jim vor Wut platzen und das Letzte, was er jetzt gebrauchen konnte, war ein noch aufgebrachterer Sentinel als er so schon war...

"Sie wissen ja, wie Jim schon mal ist. Wir arbeiten jetzt schon seit Tagen an diesem Fall und nun ist er wohl ein bisschen - wie soll ich sagen - gereizt." Hoffentlich nahm Simon ihm das nur ab.

"Sind Sie sicher, dass da nicht mehr dahinter steckt? Ich habe ja Jim schon oft ‚ein bisschen gereizt’ erlebt, aber so..." Simon schüttelte den Kopf, aber wenn selbst Blair nicht mehr darin erkannte... Vielleicht bildete er sich das auch nur ein.

"Sie werden sehen, sobald der Fall erledigt ist, wird Jim wieder ganz der Alte sein!" Ein weiterer Versuch, Banks zu beruhigen.

Simon winkte ab. "Ok, wenn Sie meinen Sandburg. Dann machen Sie sich mal an die Arbeit, damit hier schnell wieder alles seinen normalen Lauf nimmt."

Blair schnappte sich seine Jacke und eilte aus dem Büro.

Jim erwartete ihn bereits im Auto. Mürrisch warf er den Wagen an und chauffierte ihn aus der Garage - mitten in die Rush Hour hinein. "Verdammt!" Jim untermalte sein Gefluche mit einem Schlag auf das Lenkrad. Blair zuckte zusammen, aber blieb ruhig.

Wahrscheinlich kein guter Moment, ihn auf den Vorfall von gerade eben im Büro anzusprechen...




Es ging nur langsam voran, Schritttempo.

Ok Blair, trag mal zusammen, was du hast. Du sitzt hier mit einem wütenden Sentinel zusammen in einem Auto im Stau, es kann eigentlich nur besser werden. Vielleicht sollten wir wirklich heute mal ein wenig getrennt arbeiten. Jim meinte schon mal, ich würde ihm zu viel am Rockzipfel hängen. Wahrscheinlich braucht er nur eine kleine Auszeit. In der Uni komme ich sowieso viel besser ohne ihn zurecht. Sobald die Leute eine Polizeimarke sehen, kommt das große Schweigen. Man bekommt viel mehr aus ihnen heraus, wenn man sie privat anspricht.

Blair lugte vorsichtig zu seinem Freund hinüber, dieser starrte wie gebannt auf die Autos vor ihnen, als könnte er sie so mittels Kraft seiner Gedanken wegzaubern.

"Wann wollen wir uns wieder treffen? Wie wäre es mit Chinesisch heute Mittag?" Blair unternahm einen Versuch die Spannung im beengten Raum etwas zu lindern. Kein Kommentar von Jim, statt dessen setzte er wieder zur Fahrt an, die Autos vor ihnen rollten an.

"Wenn es Ihnen recht ist, werde ich heute mal nicht mit Ihnen essen gehen."

Blair sah zu Jim hinüber, direkt in sein Gesicht, aber er war nicht überrascht, eigentlich hatte er es schon fast erwartet. Ich muss mir schnellstens etwas einfallen lassen!




Blair bog die Straße zur Universität ab und kontrollierte den Seitenspiegel. Da war wieder dieser Wagen, ein blau-metallic lackierter Käfer, der ihn schon die ganze Fahrt über verfolgte. Das ist sicher nur ein Zufall, nicht der Rede wert, bestimmt nur ein Student, einer von vielen hier! Der dunkelgrüne 68er Volvo bog auf den Parkplatz. Blair hatte Schwierigkeiten, etwas Freies zu finden. Verdammt, um diese Zeit ist es hier doch immer voll. Wieso bin ich nicht auf den naheliegenden Parkplatz gefahren? Die Antwort auf diese Frage fuhr nun etwas dichter hinter ihm. Er konnte allerdings immer noch kein genaues Gesicht erkennen, er wusste nur, dass der Fahrer eine Sonnenbrille trug, was an solch einem wunderschönen, sonnigen Frühlingsmorgen nicht ungewöhnlich war.

Schließlich fand Blair doch noch eine Parklücke und manövrierte den Oldtimer hinein. Schnell drehte er sich um, um den Wagen hinter sich zu begutachten, der nun an ihm vorbeifuhr, ebenfalls nach einem Abstellplatz für das Auto suchend. Siehst du Blair, kein Grund zur Aufregung, war nur ein Student...

Er stieg aus den Wagen, schnappte sich seinen allgegenwärtigen Rucksack und schloss ab. Vorsichtig begutachtete er die Umgebung und öffnete seine Tasche nur um sicher zu gehen, dass er sein Handy dabei hatte. Wenn ungebetene vermeintliche Studenten ihm in die Quere kamen wollte er wenigstens eine Chance haben Hilfe zu rufen.

Zügig machte er sich auf den Weg zum Haupteingang des Altgebäudes: Niemand war zu sehen. Jetzt leidest du schon unter Verfolgungswahn, Blair!

Er lief die Treppe zum Tor hinauf, immer zwei Stufen auf einmal nehmend. Drinnen schaute er sich erst einmal wieder um - nichts. Schließlich eilte er Richtung Büro, seinem Büro. Na ja, eigentlich wirkte es für Außenstehende mehr wie eine Abstellkammer, aber es war sein eigenes kleines Reich.

Nach einem tiefen Atemzug schloss er die Türe auf und huschte hastig hinein. Kaum war er drin, knallte er die Türe wieder direkt hinter sich zu, drehte den Schlüssel im Schloss. Irgend etwas stimmt hier nicht...!




Der weiß-blaue Ford bog in die Hudsonstreet ein und hielt an der Hausnummer 17. Der Fahrer stieg aufbrausend aus und eilte zur Haustür. Er beachtete das Polizeiabsperrband nicht, welches lästige Schaulustige abhalten sollte, diesen Ort des Verbrechens zur Attraktion zu erklären. Er zückte seine Polizeimarke und zeigte sie einem Beamten im Vorbeigehen, ohne ein Wort zu sagen. Der Polizist ließ ihn passieren. Er war der einzige hier, die Spurensuche hatten Jim und Blair schon gestern Abend abgeschlossen, also kein Grund, weiter nach Indizien zu suchen, dennoch wurde die Wohnung vor Einbrechern beschützt. Templeton hatte hier viele Artefakte, Masken, die an den Wänden hingen, weitere Skulpturen und ähnliches.

Alles in allem erinnerte Jim der Anblick der Sammlerstücke stark an Blairs Sachen, der gestern auch ein wenig niedergeschlagen schien. Der Anthropologe hatte sich schon auf die Zusammenarbeit mit Jessie gefreut, der auch diese Wissenschaft studierte hatte. Er wollte ihn ursprünglich noch heute kontaktieren, Jim konnte sich erinnern, dass Blair einmal so etwas erwähnte.

Jim rannte die Treppe hinauf, denn oben wurde die Leiche gefunden, im Bett, angekettet an den jeweiligen Bettkanten. Unter anderen Umständen hätte man an Sexualmord denken können, aber es handelte sich definitiv um den gesuchten Serienmörder, keine Frage. Die gleiche Vorgehensweise, wenn man überhaupt schon davon sprechen konnte.

Jim erkannte wieder, wie wenig sie eigentlich über den Täter wussten. Genaugenommen wussten sie nur, dass er, oder vielleicht sie, jedes Mal eine wilde Orchidee zurückließ, als Markenzeichen sozusagen. Wütend starrte Jim auf die Blutspuren, die auf dem Bettlaken noch gut erkennbar waren.

Wieder ein Toter, diesmal ein Student, kaum jünger als Blair, sogar von der selben Universität! Aber wie stand dieser im Zusammenhang mit den vorigen Opfern, dem Kleinganoven Larry Shawn und dem Psychiater Dr. Welsh?

Ein unwohles Gefühl überkam Jim, während er weiterhin die Blutflecken im Laken betrachtete. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel schoss ihm das Bild von dem erlegten Wolf durch den Kopf, dann sah er Blair vor sich, mit dem Gesicht nach unten treibend im Wasser des Springbrunnens vor dem alten Universitätsgebäude...

Ich muss zur Universität!

Wie ein Verrückter schoss Jim durch die Wohnung, die Stufen hinunter, die Tür hinaus. Der Beamte blieb mit offenstehendem Mund am Ausgang stehen...




Blair saß wieder in seinem Büro am Schreibtisch, seinen Kopf in die Hände gestützt.

Schlafen, nur noch schlafen! Ich bin so müde... Er hatte fast die ganze Nacht wach gelegen, über den Zone-out von Jim nachgedacht... ohne Ergebnis.

Auch jetzt wollte ihm nichts dazu einfallen. Gerade erst kam er von seinen "Recherchen" zurück. Es war, wie er es erwartet hatte: Niemand kannte Jessie persönlich und er konnte auch sonst keine hilfreichen Hinweise in Erfahrung bringen.

Unkonzentriert blätterte er seine Aufzeichnungen durch. Für Jims Realitätsverluste gab es bisher schon viele unterschiedliche Gründe. Keiner der vorher eingetretenen schien für Blair aber auf diesmal übertragbar zu sein. Sein Blick schweifte von seinen Notizen weg zu der Uhr auf dem Schreibtisch.

Tick-tack, tick-tack.

Er konnte es deutlich hören. Es kam ihm ungewöhnlich still vor. Nur kurz die Augen schließen, nur kurz ausruhen...




Der blaue Truck fuhr auf den Hochschulparkplatz. Per Schritttempo suchte Jim eine Parklücke - vergebens. Wollten die nicht schon seit langem endlich mal ein Parkhaus hierher bauen?, wunderte er sich und stellte sich direkt hinter dem grünen Volvo, dessen Fahrer er nur allzu gut kannte. Mürrisch verließ er den Wagen, wohl wissend, dass er eigentlich nicht hier stehen bleiben dürfte.

Hoffentlich hatte Sandburg wenigstens schon mal ein paar Nachforschungen angestellt. Dieser Fall dauerte Jim schon viel zu lange. Er spürte wieder Hass in sich hochkommen, Hass gegenüber dem Mörder, der es gewagt hatte, in seiner Stadt einen Menschen nach dem anderen kaltblütig zu ermorden, noch immer ohne erkennbares Motiv.

Er ging vorüber an dem Springbrunnen, worin nur wenige Monate zuvor sein Freund und Partner ertrunken war. Stirnrunzelnd blieb er stehen, ein merkwürdiges Gefühl stieg in ihm auf: Es war ihm, als ob...

...als ob er beobachtet würde!

Langsam ließ der Sentinel seinen Blick über die eigentlich überschaubare Gegend schweifen, aber nichts war zu erkennen. Schließlich versuchte er sein geschärftes Gehör einzusetzen, doch auch hier ohne Erfolg. Dennoch hatte er das Gefühl, als sei er nicht allein, und damit meinte er nicht nur die paar Studenten auf dem Hof, die schon neugierig guckten.

Jim drehte sich um, lief an dem Brunnen vorbei und die Stufen zum Haupteingang hoch.

Plötzlich befand er sich im Dschungel, alles war in Blau gehalten, er selbst war gekleidet wie damals in Peru. Sein Gesicht war mit Kriegsbemalung geschminkt. Er hörte in weiter Ferne einen Wolf heulen und folgte diesem Klang, seine Schritte hallten im Wald wider.

Nach einer Weile blieb er abrupt stehen und horchte: Kein Geräusch war mehr zu hören, nicht der Wolf, aber auch kein Vogel oder sonstiges Tiergeschrei: Absolute Stille. Alles, was er vernahm, war sein rascher Atem und sein rasender Herzschlag.

"Folge dem Raubtier und du wirst finden, was du suchst."

Jim drehte sich ruckartig um. Vor ihm stand nun Incacha, sein früherer Schamane.

"Aber ich kann nichts mehr hören und auch nichts sehen, wie soll ich etwas verfolgen, wenn ich es nicht wahrnehme?" Er war überrascht, wieso konnte er noch immer nichts hören? Diese Stille wirkte gespenstig. Lediglich die Stimme seines alten Lehrmeisters war zu hören.

"Dann beginne mit deinem Herzen zu sehen, du musst lernen dich von ihm führen zu lassen."

Der Sentinel drehte sich um, versuchte erneut, den Wolf mit seinen Augen zu erfassen oder ihn zu hören, aber es blieb still. Er kehrte sich wieder zu Incacha um, aber dieser war spurlos verschwunden. Statt dessen stand jetzt eine große Steinwand vor ihm, die Mauer eines alten Tempels. Es war ein ihm unbekannter Tempel. Sollte er dort hineingehen? War es das, was man von mir erwartete?

Er zögerte.

‚Du musst lernen dich von deinem Herzen führen zu lassen.'

Langsam aber bestimmt ging Jim die Stufen des alten Gemäuers hinauf.



Kapitel 2


Blair schreckte auf - ein Durcheinander von gelockten Haaren fuhr hoch. Er musste eingenickt sein.

Schnell überprüfte er die Uhrzeit: 10:17 Uhr. Verdammt, er hatte über eine Stunde hier geschlafen!

Er strich sich durch seine Lockenpracht - ein kurzer Seufzer - und er stand zügig auf; es galt keine Zeit zu verlieren.

Plötzlich hatte er ein unwohles Gefühl, ein starkes Bedürfnis aus dem Gebäude zu eilen und seinem Sentinel zur Seite zu stehen, so etwas wie eine Vorahnung. Er spürte es deutlich. Aber was spürte er denn überhaupt? Warum hatte er plötzlich dieses instinktives Bedürfnis bei seinem Partner zu sein? War er womöglich in Gefahr?

Fest entschlossen machte er sich auf den Weg zum Ausgang. Jim war vielleicht in Gefahr!

Stürmisch rannte er die Stufen hinunter, einige Kollegen schauten ihm kopfschüttelnd nach, andere riefen, was denn los sei. Doch Blair beachtete keinen von ihnen, wie blind eilte er zur großen Tür, hindurch... und rannte dabei fast Jim um. "Hey Jim, Sie haben mich ganz schön erschreckt, mann! Was machen Sie hier?"

- Keine Reaktion -

Eine böse Ahnung überkam Blair. Bitte nicht schon wieder!

Mit ruhiger Stimme versuchte er, seinen Kumpel in die Realität zurückzuholen: "Jim, hören Sie mich? Hey..." Sanft legte Blair seine Hand auf den Oberarm des Sentinels, begann ihn leicht wachzurütteln, in der Hoffnung, dass es etwas bringen würde. Hier waren zu viele Zuschauer, verdammt! Auf dem Hof waren bereits einige Studenten stehen geblieben, begafften misstrauisch das Treiben vor dem Tor.

Blair begann etwas heftiger zu rütteln... "Jim, bitte, nun kommen Sie schon!"

Ruckartig bewegte sich der stämmige Mann, blickte verwirrt um sich, bis er schließlich zu Blair hinunter schaute und ihn anstarrte, als wollte er ihm etwas sagen. Blair seufzte und schielte zu den Schaulustigen hinunter, die noch immer neugierig glotzten. "Sie waren wieder weggetreten...", versuchte er seinem Freund zu erklären.

"Nein", ließ Jim simpel von sich und sah in Blairs überraschtes Gesicht.

"Was meinen Sie mit 'nein'? Ich habe Sie mehrmals versucht..."

"Ich hatte kein gänzliches Zone-out, es war mehr." Pause. Jim betrachtete die Jugendlichen, wie sie allmählich weitergingen. Alles schien ja wieder 'normal' zu sein und ‚Normales’ war nicht begaffenswert...

Während Blair darauf wartete, dass Jim seine Ausführungen fortsetzt, suchte dieser nach den richtigen Worten. "Ich hatte wieder eine Vision."

Es war raus, Blair würde wieder mit seinem wissenschaftlichen Geschwafel und den löchernden Frage beginnen und...

Ein Knall. Instinktiv duckte sich Jim und riss seinen Partner mit runter. Nur eine Sekunde später hatte er auch seine Waffe zur Hand.

Auf dem Hof herrschte jetzt Panik, die Schüler, die gerade noch das merkwürdige Schauspiel begutachteten, liefen schreiend in alle Himmelsrichtungen.

Jim gab seinem Partner Handzeichen, doch unnötigerweise, wie er schnell erkennen musste, Blair war bereits geduckt ins Gebäude geeilt. Jim folgte ihm auf dem Fuß, ebenfalls in geduckter Stellung.

Nochmals ein Knall, ein weiterer Schuss. Die letzte Kugel verfehlte Jim nur um Haaresbreite. "Alles in Ordnung?", fragte Blair besorgt seinen Freund.

"Ja, und bei Ihnen?", kam die Gegenfrage. Blair nickte nur. Die beiden standen nun mit dem Rücken an der robusten Tür. Jim riskierte kurz einen Blick aber es war nichts zu sehen. Ein weiteres Mal sah er um die Ecke, etwas bewegte sich im Dickicht um den Hof. Das musste der Scharfschütze sein. Eine graugekleidete Person rannte in Richtung Straße davon.

"Sie bleiben hier, ich bin gleich zurück, verstanden?" Das waren Jims bekannte Worte, doch Blair dachte nicht daran, hier zu warten. Ein Gefühl sagte ihm, er müsse mit, seinen Kumpel nicht aus den Augen verlieren. Unbeirrt rannte Blair Jim hinterher, noch immer leicht geduckt.

Mit vorgehaltenem Revolver lief der Detective die Straße hinunter ohne seinen Partner gut zwanzig Meter hinter sich zu registrieren. "Polizei! Bleiben Sie stehen!" Seine Stimme schallte durch den halben Block.

Blair konnte nicht erkennen, was da vorne vor sich ging, er war zu weit weg und sah noch nicht einmal jemanden. Er wurde langsamer und blickte neugierig in die Richtung, in die Jim verschwunden war.

Schüsse waren plötzlich zu hören, drei, nein vier... Ein Motor eines Sportwagens oder ähnlichem heulte auf und Reifen quietschten. Jim blieb abrupt stehen, feuerte erneut einige Male auf die verdunkelte Frontscheibe des Wagens, aber vergebens. Das Auto verfügte über gepanzerte Scheiben. Blair sah nun einen schwarzen Porsche auf Jim zufahren...

"Jim, Vorsicht!" Das war alles, was er herausbekam, sein Herz raste.

"Sandburg, zum Parkplatz!", rief der Detective seinem Kollegen zu, mittlerweile auf ihn zurennend. Die Autos waren der einzige Schutz hier, wenn er es bis dorthin schaffen würde...

Aber der Porsche war schneller und holte Jim schnell ein. Anstatt wie verlangt zu den Autos zu laufen eilte Blair seinem Partner entgegen, obwohl er genau wusste, dass er ihm so auch nicht helfen könnte...

Es waren nun noch wenige Meter, bis der schwarze Sportwagen, der immer noch mit Vollgas direkt auf ihn zusteuerte, Jim eingeholt hätte. Blair bekam es mit der Panik zu tun. "Jim!"

Von nun an ging alles wahnsinnig schnell. Ein blauer Käfer kam mit hohem Tempo rückwärts aus einer Parklücke gefahren. Nur knapp verfehlte er den Sentinel, der noch immer um sein Leben rannte. Der Porschefahrer konnte nicht mehr schnell genug ausweichen und raste direkt in den alten Käfer, riss ihn mehrere Meter mit sich. Die demolierten Wagen blieben still stehen, die Fahrer schienen bewusstlos, nichts rührte sich mehr. Jim war bei dem lauten Zusammenstoß noch einige Meter gelaufen, hatte sich jedoch dann direkt umgedreht und war stehen geblieben. Von hinten kam Blair angerannt, beide waren außer Puste.

"Mein Gott Jim, sind Sie Ok?" Blair schnappte nach Luft. Der Sentinel blieb wie versteinert stehen, doch Blair meinte, ein leichtes Nicken erkennen zu können. Schließlich ging Jim behutsam auf die beiden Wagen zu und wollte schauen, wie es den Insassen ergangen war. Er lief noch immer mit der 38er voraus.

Erneut startete ein Motor, diesmal war es nicht der Porsche, mehrmals versuchte der Fahrer des alten Beetles den Wagen zum Anspringen zu bewegen, ohne Erfolg. Es war, als ob er versuchte schnell vom Tatort zu entwischen. War es Absicht? Wollte der Fahrer Jim wirklich retten oder war es ein missglückter Versuch, dem Porschefahrer zur Hilfe zu eilen? Vielleicht war es gar ein Unfall, also unbeabsichtigt und er bekam es nun mit der Angst zu tun und wollte sich auf und davon machen?

Blair eilte seinem Partner wieder hinterher, der fast am entstandenen Schrotthaufen angelangt war.

"Kommen Sie mit erhobenen Händen raus!" Jim visierte die Fahrerseite des Käfers an, keine Reaktion. Langsam pirschte sich der Sentinel heran, von Hinten kam nun Blair herbei.

Vorsichtig öffnete Jim die eingedrückte Tür des blauen Wagens und spähte hinein. Auf der Fahrerseite saß eine junge Frau, vielleicht Mitte zwanzig. Blut lief langsam an ihrer Stirn herunter, verklebt mit ihren langen, brünetten Haaren. Bewusstlos lag sie nach vorn gebeugt auf dem Lenkrad, kein Airbag, der ihren Aufprall hätte lindern können, nicht bei diesem älterem Modell.

Zügig nahm der Sentinel seine Waffe herunter, steckte sie sich in die Jeans. Von hinten hörte er nur ein "Oh mein Gott" von Blair, der wie versteinert stehen blieb, sich aber direkt vom Anblick der Verletzten abwandte.

Während Jim auf die Beifahrerseite rannte, gab er Blair an, er solle einen Krankenwagen rufen. "Was ist mit dem anderem Wagen?" Verdutzt blinzelte Blair zum geknätschten Sportwagen hinüber.

"Der ist schon über alle Berge. Nun rufen Sie schon den Notarzt!"

Schon über alle Berge? Wieso ist Jim ihm nicht gefolgt, wenn er es offensichtlich mitbekommen hat? Ich hätte mich auch um das Mädchen kümmern können?

Im Laufschritt rannte Blair zurück zum Parkplatz, wo er vorhin seinen Rucksack achtlos fallengelassen hatte, als er die Schüsse gehört hatte. Hoffentlich war das Handy noch in Ordnung. Er griff zur Tasche und wühlte das Mobiltelefon hervor.

9-1-1

Diese Nummer hatte er schon unzählige Male gewählt. "911, Sie haben einen Notfall?", meldete sich direkt eine Frauenstimme, die irgendwie besänftigend klang. Hastig gab Blair an, wo und was passiert war. Währenddessen schritt er zur Unfallstelle zurück. Nur wenige Meter vor dem blauen Gefährt, oder was davon übrig geblieben war, beendete er das Telefonat. "Der Krankenwagen ist schon unterwegs", ließ er seinen Freund wissen, der noch immer auf der anderen Wagenseite zu sein schien, aus Blairs Blickwinkel nicht sehbar.

"Jim?" Er lief um den Wagen, sein Kumpel kniete auf dem Boden, vor ihm lag das Mädchen, noch immer bewusstlos.

"Wie geht es ihr? Ist es schlimm?" Blair beugte sich hinunter, seine Hände dabei auf den Oberschenkeln, etwas oberhalb der Knie, stützend.

"Kann ich noch nicht beurteilen", gab Jim monoton von sich, als würde er seinen Partner nicht beachten, seine ganze Konzentration lag bei der bewusstlosen Frau. Nach einer kurzen Pause sprach er aber weiter: "Meiner Ansicht nach hat sie eine Gehirnerschütterung, vielleicht sogar eine schwere. Ist aber schwer zu sagen, ob sie auch innere Blutungen oder Verletzungen hat. Wahrscheinlich aber ein gebrochenes Schlüsselbein." Behutsam kontrollierte er mit seinem sensiblen Tastsinn den Bauch der Verletzten.

Blair kniete sich nun auch hin, direkt neben Jim. Bewundernd beobachtete er seine Untersuchungen.

Schweigen.

Plötzlich hob Jim leicht den Kopf, als würde er etwas hören. "Was? Hören Sie etwas?" Blair schaute um sich: Es war nichts zu sehen aber auch nichts zu hören. Nur wenige Sekunden später vernahm er von Weitem Sirenengeheul.




"Detective James Ellison?" Ein Arzt mittleren Alters kam auf Jim, Blair und Simon zu. Erwartungsvoll schaute er Jim an. Er wirkte genervt, als könne ihm diese Unterhaltung nicht schnell genug wieder vorübergehen.

"Der bin ich", gab der Detective schlicht von sich.

"Dann sind Sie wahrscheinlich Captain Banks, der Leiter der Abteilung Kapitalverbrechen?", wandte er sich an Simon.

"Ja, richtig. Können Sie uns schon etwas Näheres zum Zustand der jungen Dame sagen, die wir eingeliefert haben?"

Anstatt zu antworten, starrte der Arzt auf Blair, Jim bemerkte sein Zögern und stellt seinen Freund kurz vor: "Das ist Blair Sandburg, ein Berater des Police Departments."

"Hm, ja Ok. Also, mein Name ist Dr. Jackson, ich bin wie gesagt für Ms. Peterson verantwortlich."

Jim und Simons Blick trafen sich, beide verwundert. "Sie kennen bereits den Namen der Patientin?", platzte Jim heraus.

"Ja, Ms. Peterson ist uns durchaus bekannt. Wenn wir einen neuen ‚namenlosen’ Patienten eingeliefert bekommen, lassen wir unsere Datenbanken mit einem Vergleich einer Blutprobe durchlaufen und haben manchmal das Glück jemanden in so kurzer Zeit zu identifizieren." Dr. Jackson hielt kurz inne, sah die drei Männer einen nach dem anderen kurz an.

"Was können Sie uns über Ms. Peterson denn erzählen?" Jim war schon wieder voll in seinen Ermittlungen.

Jackson seufzte. Er hatte gehofft, nicht die ganze Geschichte herunterleiern zu müssen. "Also, wie wäre es, wenn ich Sie zu sie führe und wir auf dem Weg dorthin darüber sprechen?" Ohne auf eine Antwort zu warten eilte er voran, Simon, Jim und Blair ihm dicht auf den Versen. Er huschte noch schnell in einen Fahrstuhl und hielt ihn mit seinen Händen am Bewegungsmelder offen, damit die drei ebenfalls noch mitfahren konnten.

In seinen Unterlagen blätternd begann er die wichtigsten Daten aufzuzählen: "Ihre Patientin heißt Irene Peterson, 24 Jahre alt, ledig und zur Zeit wohnhaft in Culpeper, das ist ein kleiner Ort nahe Washington. Ihre Kindheit verbrachte sie zum Teil in Europa, nach dem Tod ihrer Mutter kam sie mit ihrem Vater in die USA nach Milltown, also hier gleich um die Ecke. Unsere erste Aufzeichnung war am... am 27. Juli 1983."

Der Lift blieb stehen und öffnete sich, der Arzt schritt mit großen Sätzen zielstrebig zum Ende eines Seitenganges.

"Weshalb wurde sie damals eingeliefert?", fragte schließlich Simon, der nun zu Jackson aufrückte. Der Mann neben ihm blieb abrupt stehen, vertiefte sich wieder in seine Unterlagen, öffnete schließlich vor ihm die Tür und trat ein, ohne aufzuschauen. "Hier sind wir. Sie hatte damals keine Verletzungen, na ja, sagen wir keine körperlichen."

Er kontrollierte kurz die Werte des Mädchens und schaute dann zu den drei Männern hinüber, die ihn neugierig anstarrten. "Sie war damals halb abgemagert, wollte nichts mehr essen; war eine psychische Angelegenheit. Hatte wohl mit dem Tod ihrer Mutter zu tun, aber mehr kann ich Ihnen dazu auch nicht sagen. Ich habe weder die Befugnis, noch das Wissen. Ich bin hier nur der behandelnde Arzt und kein Seelenklempner."

"Und für den Fall, dass wir mehr Informationen brauchen, an wen können wir uns dann wenden?" Jim verlor allmählich die Geduld, dem musste man auch wirklich alles aus der Nase ziehen.

"Ihr Psychiater war damals Dr. Stevens, der ist aber zur Zeit außer Haus, auf einer Tagung."

Jim rollte die Augen. Na toll! Aber vielleicht brauchten sie ja keine weiteren Angaben vom Facharzt. "Ist sie immer noch in psychiatrischer Behandlung?"

"Nein, sie wurde immer nach nur wenigen Wochen wieder entlassen, aber ist so etwas wie ein Stammgast hier geworden. Das letzte Mal ist bereits fast vier Jahre her, man könnte dann wohl davon ausgehen, dass sie darüber hinweg ist." Bei seinen Ausführungen sah Dr. Jackson kein einziges Mal von seinen Unterlagen hoch.

"Ok, wie auch immer, welche Art von Verletzungen hat sie denn nun?" Jetzt schaltete sich Simon ein, wieder auf das Wesentliche zurückkommend.

"Sie hat eine leichte Gehirnerschütterung, ein gebrochenes Schlüsselbein und eine Platzwunde am Kopf, die wir bereits genäht haben." Jetzt war Jackson wieder in seinem Element. "Sie ist unverändert bewusstlos, so dass wir einen Schock nicht ausschließen können."

Blair lugte zu Jim hinüber, dieser nickte bei den Erläuterungen des Arztes leicht, als wolle er dem beipflichten, schließlich hatte er die Verletzungen schon am Unfallort bemerkt. Jim wirkte trotzdem irgendwie abwesend, als wäre er in andere Gedanken vertieft.

"Nun gut. Dr. Jackson, ich möchte, dass Detective Ellison benachrichtigt wird, sobald Ms. Peterson aufwacht, Ok?" Simon drehte sich um und ging aus den Raum, nachdem Jackson kurz zustimmend genickt hatte.

Jim und Blair verließen direkt darauf ebenfalls den Raum, auf dem Flur stießen Sie wieder auf Simon. "Jim was geht hier vor? Nach dem, was Sie mir erzählt haben, scheint ein unbekanntes und psychisch labiles Mädchen, das fast noch ein Kind ist, Ihnen das Leben gerettet zu haben! Oder denken Sie, das war Zufall?", stellte Simon seinen besten Detective zur Rede.

Jim senkte verlegen seinen Blick. Er hatte keine Ahnung, was er darauf antworten sollte, immerhin wusste er auch nicht mehr, als sein Captain.

"Hm, Sir, ich denke, es war kein Zufall", meldete sich Blair zu Wort.

"Und wie kommen Sie darauf, Sandburg?" Simon war erstaunt, was glaubte der Junge zu wissen?

"Nun, als ich heute Morgen zur Uni gefahren bin, hatte mich die ganze Zeit ein blauer Käfer verfolgt, genau genommen, der blaue Käfer! Ich weiß, das könnte nur Zufall sein, aber..."

"Was? Und wieso erzählen Sie mir das jetzt erst?" Simon war außer sich.

"Zuvor hatte ich noch nicht die Gelegenheit...", versuchte sich Blair herauszureden. Hoffnungsvoll blickte er zu seinem Partner hinauf, aber der starrte ihn auch nur stirnrunzelnd an.

"Der selbe Wagen?" Nachdenklich rieb sich Jim sein Kinn.

"Ja. Ich meine, wie viele dunkelblaue Käfer gibt es schon? Außerdem stimmte das Nummernzeichen."

"Jim, ich möchte, dass Sie erst einmal beide nach Hause fahren. Ruhen Sie sich aus. Ich werde Ihnen ein paar Beamte schicken, die ihre Wohnung überwachen, und keine Widerrede!" Simon hob warnend seinen Zeigefinger.

"Aber Simon, ich muss bei dem Fall dranbleiben. Lassen Sie mich wenigstens kurz zum Police Department fahren, dort ein wenig unsere Datenbanken mit dem, was wir haben, füttern. Und dann fahren wir nach Hause, versprochen!" Jims flehende Augen trafen Simons mahnenden Blick.

Dieser gab schließlich nach: "Ok, aber direkt danach, und ohne Umwege, verstanden?!" Es klang weniger nach einer Frage, als nach einem Befehl.

"Verstanden, Sir." Seufzend setzte Jim sich in Bewegung. "Kommen Sie Häuptling, bevor er es sich anders überlegt."


=> Fortsetzung in Kapitel 3 und 4


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