Die wirklich sehr späte Fortsetzung bitte ich zu entschuldigen. Aber im Anbetracht der Vor-Version halte ich es für Akzeptabel ;-) Selbst meine liebe Beta stimmt mir da zu, dass die Überarbeitung sinnvoll war. Ein GANZ herzliches Dank an Lelaina für die viele Arbeit! *Hugs*
Das nächste Kapitel versuche ich zeitiger nachzuschieben.



Kapitel 3


Eine Stunde zuvor

Erleichtert, Jim nun endlich gefunden zu haben, lehnte er sich erschöpft gegen die Steinmauer, hinter der er sich Sekunden zuvor vor seinen Verfolgern versteckt hatte. Das Adrenalin verließ seine pulsierenden Adern und er spürte, wie seine Knie weich wurden.

Als Blair diese kalte Hand auf seinen Schultern gespürt hatte, hatte er geglaubt, sein Albtraum hätte ihn eingeholt. Er hatte sich sogar eingebildet, im Schleier der Dunkelheit für einen Bruchteil einer Sekunde die hässliche Visage des vernarbten Menschen vor sich zu sehen.

"Oh mann, bin ich froh, dich zu sehen!" Er versuchte, Jims Gesicht etwas genauer im Dunkeln auszumachen, aber konnte nicht das Lächeln des Sentinels erkennen. Ansonsten hätte er sich nicht eine Sekunde auf die Kreatur, die ihm gegenüber stand, eingelassen.

Das Monster lächelte unnatürlich und gehässig. Es war sich seines Sieges sicher: Nun hatte es die beiden menschlichen Eindringlinge dort, wo es sie haben wollte.

"Sandburg, was ist denn los? Weshalb diese Aufregung?" Es klang sogar wie Jim Ellison und Blair hatte somit keinen Grund, nicht zu glauben, er hätte seinen besten Freund vor sich.

"Da waren diese beiden Kerle, der eine hat versucht, mich zu erwürgen. Der andere hatte dieses grässlich entstellte Gesicht und starrte mich an- Ich sage dir, dieser Ausdruck in seinen Augen! Und dann rannte ich nur noch-" Blair überschlug sich fast.

"Hey, Blair, vergiss nicht zu atmen", Jim legte seine kalte Hand auf Blairs Unterarm.

Blair zuckte zusammen. Selbst durch seinen dicken Pullover konnte er die Kälte spüren, die von Jims Hand aus pulsierend auf seinen Arm übersprang, wie ein eisiges Lauffeuer, das sich über seine Haut verbreitete und seine Härchen zu einer Gänsehaut aufstellte. Er konnte sich ein leichtes Erschauern nicht verkneifen. Merkwürdig, wie kühl es auch war, nie hatte er Jims Berührung so wahrgenommen. Dessen Hände waren plötzlich extrem kalt. Fast schon unnatürlich.

Verängstigt hakte Blair nach: "Jim, alles in Ordnung? Deine Hand ist eiskalt! Wie hast du eigentlich das mit der Wand hinbekommen? War das eine Art Geheimtür? Wie in diesen Filmen, he? Ich habe auch versucht, durch die Tür zu kommen, aber habe keinen Hebel, nichts gefunden…"

Jim verdrehte die Augen. Da hatte er ja ein besonders gesprächiges Exemplar erwischt. Ganz im Gegenteil zu dem anderen Menschen

"Immer mit der Ruhe, Blair", begann er und überlegte bereits gleichzeitig, was er mit diesem Plappermaul alles anstellen wollte. "Mir geht es gut. Und was diese ‚Geheimtür' betrifft: Ich wusste nicht, wie ich dort wieder rauskommen sollte. Aber jetzt haben wir uns ja wieder gefunden."

Unschlüssig über seine Pläne für diesen Menschen, musterte er ihn kurz. Er war nicht sehr groß und schien auch recht harmlos. Reden konnte er wie ein Weltmeister, aber das würde seinen Spaßfaktor nur erhöhen.

"Jim?", hakte Blair nach einer Weile vorsichtig nach.

"Ja?"

"Also von mir aus können wir gerne hier verschwinden. Kannst du uns mit Hilfe deiner Sinne hier raus holen? Damit wir Verstärkung rufen können."

Verschmitzt schaute Jim sein Gegenüber an. Die großen, blauen Augen blickten erwartungs- und vertrauensvoll zu ihm auf. Oh ja, das würde lustig werden, mit diesem Jammerlappen zu spielen.

"Natürlich", erwiderte er und fragte sich, was Sandburg mit diesem Kommentar über seine Sinne meinte. Aber er war flexibel und konnte mitspielen.




Bist du sicher, dass wir hier her müssen?", hakte Blair erneut nach einigen Minuten nach. Die Gänge schienen endlos, sie nahmen eine Biegung nach der anderen und Blair hatte schon lange die Orientierung verloren.

Nicht, dass dazu viel fehlen würde.

"Ja", antwortete Jim schlicht. Zumindest, um zu meiner kleinen Spielwiese zu kommen!

Erstaunlicherweise folgte Blair ihm blind, obwohl sie in eine völlig falsche Richtung liefen. Entweder der Junge hat keinen Orientierungssinn oder ein zu großes Vertrauen in seinen menschlichen Freund, dachte sich das Monster, aber nutzte gerne diesen Vorteil. Alles verlief genau nach Plan.




In der Zwischenzeit spielte das Monster mit dem Menschen Jim Ellison. Es musste ein wenig Geschick beweisen und arbeitete mit den Gedanken und Vorstellungen der beiden Eindringlinge, aber spätestens als Figuren wie Simon Banks und Detective Rafe auftauchten, schien der Mensch Ellison beruhigt genug, um endlich nach Hause zu fahren.





"Das ist nicht der Weg nach draußen", hörte die Kreatur plötzlich neben sich.

"Nicht?", fragte diese unschuldig.

Blair stoppte und starrte Jim an. Da sie sich gerade in einem etwas heller beleuchteten Teil des Gebäudes aufhielten, konnte Blair wage die Gesichtszüge des vermeintlichen Sentinels erkennen.

"Was ist?"

Blair ließ sich nicht beirren. Er griff nach Jims Arm - kalt.

Mit weit aufgerissenen Augen schritt Blair rückwärts, bis er mit dem Rücken gegen die nächste Steinmauer prallte. "Wer bist du?"

Hm, der Kleine ist doch nicht so doof, wie ich dachte. "Rate mal", erwiderte Jim amüsiert.

Perplex blickte Blair sich um. Er konnte nicht viel erkennen, aber sie hielten sich offensichtlich gerade in einem weiteren langen Gang auf. Etwa zehn Meter weiter führte dieser in einen größeren Saal, aber Blair konnte nicht sehen, was sich darin befand. Eine böse Vorahnung ließ ihn aber das Schlimmste befürchten.

"Nicht Jim Ellison", antwortete Blair vorsichtig. Er hatte keinen blassen Schimmer, mit wem oder was er es zu tun hatte. Vielleicht entsprang dies auch alles nur seiner Fantasie?

Plötzlich schien kein Gang mehr lang genug und jeder Raum zu klein. Blair durchfuhr nur noch ein zwingender Instinkt: Weg von dieser Kreatur; raus aus diesem Gebäude!

Er hörte ein leises, krächzendes Gelächter. "Du hältst dich wohl für sehr schlau, Kleiner, he?" Jim ging ganz langsam auf Blair zu. Jeder Schritt hallte dabei von den nackten Steinwänden wider. Das Monster genoss den angsterfüllten Blick in den weit aufgerissenen Augen seines Gegenübers. "Ich bin dein Albtraum", flüsterte er in tiefer, vibrierender Stimme, als er schließlich nur noch wenige Zentimeter vor Blair stand.

Blair spürte den Atem des Monsters. Aber der war kalt, nicht warm. Nicht menschlich.

Bevor Jim reagieren konnte, preschte er in die Richtung los, aus der sie vorhin gekommen waren. Er rannte so schnell, wie nie zuvor in seinem Leben und blickte nicht zurück. Tausend Fragen schossen durch seine aufgewühlten Gedanken: Warum hörte er keine Schritte hinter sich? Wollte dieses Ding ihn nicht verfolgen? Konnte man überhaupt von ihm wegrennen? Wie sollte er hier jemals alleine herausfinden? Und was war mit Jim geschehen?

Wenn er keine Schritte hinter sich hören konnte, die bewiesen, dass er verfolgt wurde, war dies ein gutes Zeichen? Er wusste es nicht. Ein dämonisches und schadenfrohes Gelächter beantwortete seine Frage abrupt. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Plötzlich hörte er ein bedrohliches Grollen.

Das Geräusch stammte von einer großen Steinwand, die rasch von der Decke senkrecht herabkam und drohte, seinen einzigen Fluchtweg zu versperren. Noch einmal versuchte er so schnell zu rennen, wie seine mittlerweile schmerzenden Beine vermochten, aber er schaffte es nicht, die Wand schnitt ihn mit einem lauten Krachen von den Rest des Ganges ab, und somit von dem Rest des Gebäudes und aller Hoffnung, diesem Monster zu entkommen.

Blair konnte nicht mehr rechtzeitig stoppen und stürzte. Schwer atmend blieb er auf dem Boden liegen.

"Na? Du willst doch nicht etwa schon aufgeben, oder?" Mit einem schadenfrohen Grinsen auf dem Gesicht stand Jim plötzlich wieder neben ihm und Blair schreckte auf.

"Was willst du?", fragte er die Kreatur nach Luft japsend.

Jim verschränkte vor sich seine Arme und lehnte sich lässig gegen die gerade erst neu entstandene Wand. "Meinen Spaß."

Blair richtete sich wacker auf und fauchte dem Biest ins Gesicht. "Nicht mit mir!"

Unbeeindruckt hob Jim eine Augenbraue. "Ach ja?" Er klatschte einmal in seine Hände und der Raum erhellte sich. Fackeln, die in etwa vier bis fünf Metern Abstand an beiden Seiten des Ganges hingen, fingen Feuer und das Knacken und Knistern der Flammen durchfuhr die gespenstige Stille. Blair konnte nun zum ersten Mal Jim etwas genauer betrachten. Er sah so aus wie Jim, aber in seinen Augen funkelte das Böse.

"Ich bin unbeeindruckt", erklärte Blair gelassen. "Lampen, die per Klatschen anspringen, werden schon seit Jahren in der Werbung angepriesen." Blair grinste.

Jims Augen funkelten für eine Sekunde lang wütend auf, dann grinste auch er. "Du bist ganz schön vorlaut, MENSCH." Er streckte seine geballte Faust in die Richtung des großen Saales am anderen Ende des langen Ganges. Anhand der gerunzelten Stirn und zusammengekniffenen Augen konnte Blair erkennen, dass Jim sich sehr stark auf etwas konzentrierte.

"Aber dein loses Mundwerk weiß ich zu stopfen!" Die Kreatur sprach nun nicht mehr in Jims Stimme. Die Worte klangen tiefer, mit einem vibrierenden Unterton, der ohne Frage dämonischen Ursprunges war.

Blair sah ängstlich hinüber zu dem Saal, aber konnte noch immer nichts Bedrohliches sehen.

Plötzlich öffnete Jim seine Faust und sein Arm schnellte durch die Luft in die Richtung, wo Sandburg stand.

Ein lautes Zischen übertönte das Knistern der brennenden Fackeln. Blair riss schockiert die Augen auf, als er plötzlich einen grellen, bläulichen Feuerball erblickte, der in Form eines riesigen Greifvogels aus dem Saal auf ihn zugeschossen kam. Das Tier aus Blitzen und Licht schrie in einem schrillen, markerschütternden Ton auf.

Blair presste sich gegen die Steinwand und versuchte eins mit ihr zu werden. Es gab kein Weg heraus, er war dem Phänomen hilflos ausgeliefert. Die Krallen des Greifs langten nach ihm und er spürte nur noch einen brennenden Schmerz und eine unfassbare Hitze, während ihn ein gewaltig grelles Licht umgab. Im Hintergrund hörte er das gehässige Lachen der Kreatur und nur einen Moment später wurde alles Schwarz um ihn…




Eine Stunde später. Prospect Street

Jim fuhr sich mit zittriger Hand durch sein kurzes Haar. Er versuchte angestrengt bei klarem Verstand zu bleiben, aber angesichts der vergangenen Ereignisse und der Tatsache, dass sein Partner hilflos und allein in dieser Gespenster-Ruine war, fiel ihm das so schwer, wie selten zuvor.

Er atmete einmal tief durch und überlegte, was er am besten zuerst machen sollte. Anrufen konnte er niemanden. Das Telefonkabel war gekappt. Sein Handy wäre natürlich eine andere Möglichkeit, aber wer konnte ihm schon garantieren, dass er den echten Simon Banks erreichen würde? Selbst wenn er das schaffen würde, Simon würde ihm kein Wort glauben.

Jims - und vor allem Blairs - einzige Hoffnung waren nun die geschärften Sinne des Sentinels. Jim atmete noch einmal tief ein, hielt für ein paar Sekunden die Luft an und atmete schließlich wieder aus. Dabei konzentrierte er sich zuerst auf sein Gehör. Irgendwo musste er ja anfangen. Er stellte sich Blair vor, wie er ihm bei dieser Übung helfen würde. Aber sein Gehör blieb normal. Er versuchte es noch einmal. Und noch einmal.

Jim fluchte in sich hinein. Er hatte keine Zeit für so etwas - Blair hatte keine Zeit für so etwas! Vielleicht musste man das Problem anders angehen. Möglicherweise gab es für Jims Problem eine einfache Lösung. Er überlegte angestrengt, ab wann seine Sinne "normal" geworden waren. Schon kurz nachdem er in das Gebäude geschlichen war, musste es dazu gekommen sein. Er wusste noch, wie er durch diese Wand gegangen war und in dem leeren Raum dahinter nichts mehr gehört hatte. Zuvor hatte er von außen noch das Klirren darin gehört. Aber vielleicht war dies nur eine Einbildung gewesen?

Vielleicht war alles nur eine Einbildung?

Mit wem oder was hatte er es überhaupt zu tun? Träumte er? Dafür war es zu realistisch. War das alles nur ein Streich seiner eigenen Fantasie? War Blair nur eine Art Vision gewesen? Ein Bild, kein Fleisch und Blut? Aber er hatte Blair vorhin gespürt, also musste es mehr gewesen sein.

Angenommen, dieses "Etwas" hätte die Form von Blair angenommen, es hätte ihm Simon Banks und Rafe vorgespielt. Dann konnte es vielleicht auch seine Sinne beeinflussen? Denn Simon und Rafe waren ja nur "Erscheinungen", oder? Es sei denn, es gäbe mehrere von diesen Kreaturen. Doch diesem Gedankengang wagte Jim gar nicht erst nachzugehen.

Am Telefon hatte er glasklar Simons Stimme erkannt, also hatte diese Kreatur auch sein Gehör manipuliert. Vielleicht hatte es demnach alle fünf Sinne beeinflusst?

Noch einmal atmete Jim tief durch und konzentrierte sich dieses Mal nicht darauf, seine Sinne wieder "online" zu bekommen. Er versuchte fest daran zu glauben, dass sie die ganze Zeit da waren und er nur an der Nase herum geführt wurde.

Schließlich hörte er eine Etage unter sich das ältere Ehepaar wild aber leise über "seine" Unfähigkeit diskutieren. Von nebenan kam dieses nervende Schnarchen, das er so gar nicht vermisst hatte.

Das dunkle Loft erhellte sich langsam und er bemerkte, dass er dringend mal wieder den Boden fegen müsste. Er drehte sich um und sah auf dem Vollmond tausend kleine Krater, die mit dem bloßen Auge nicht zu erkennen waren.

Ein beißender und unangenehmer Geruch lag in der Luft, den er nicht zuordnen konnte.

Aber er hatte keine Zeit für so etwas. Blair war noch immer diesem Wesen ausgesetzt. Aber dieses Ding hatte lange genug mit ihnen herumgespielt. Jim war nun wieder "voll da" und würde ihm jetzt zeigen, dass es nicht klug war, sich mit einem Sentinel anzulegen!




Harshstreet

Mit vorgehaltener Pistole begab sich Jim in die Höhle des Löwen. Wohl eher die des Panthers, scherzte er in Gedanken.

Eigentlich war ihm aber gar nicht nach Scherzen. Es war nur eine Reaktion auf seine Nervosität und Anspannung. Was wollte diese Kreatur wirklich? War sie "nur" darauf aus, Blair und ihm einen Schrecken einzujagen, oder würde sie auch weiter gehen?

Mit Hilfe seiner ausgezeichneten Sicht nahm Jim schließlich in einem etwas abgelegeneren, großen Saal eine Lichtquelle wahr. Es schien sich um Feuer zu handeln, denn das Licht flackerte unregelmäßig. Vermutlich handelte es sich um Fackeln.

Nun ja, dachte Jim wieder scherzend vor Anspannung, Lichtröhren hätten einfach nicht zum Ambiente gepasst.

Zielstrebig schlich er auf den besagten Saal zu. Natürlich wusste er, dass dies eine Falle war, er war nicht auf den Kopf gefallen - zumindest heute noch nicht. Aber Jim wusste auch, dass er Blair auf keine andere Weise finden würde. Er musste sich diesem Monster stellen.

Endlich hatte er den Saal mit den Fackeln erreicht. Er erschien recht groß und erinnerte Jim an den Raum, in dem er Stunden zuvor eigenartige Geschehnisse beobachtet hatte.

Jim schnüffelte. Da war wieder dieser Geruch, den er im Loft wahrgenommen hatte, aber nicht einordnen konnte.

Ein lautes Grollen ertönte hinter ihm. Jim fuhr schnell herum und eilte zu der sich rasant schließenden Öffnung. Fluchend schlug er mit der geballten Faust auf die zugefallene, eiserne Tür ein.

Plötzlich schnappten seine Sinne einen kalten Luftzug auf und bevor er sich wieder umdrehen konnte, sah er einen Schatten in Form einer menschlichen Gestalt über die Wand vor sich huschen.

Blitzschnell drehte er sich um und umklammerte seine Waffe so fest, dass er befürchtete, sie würde nur aufgrund des Drucks aus Versehen losgehen.

Das folgende krächzende und außerordentlich boshafte Gekicher bescherte Jim eine Gänsehaut. Im dem gleichen Moment wurde eine Art Falltür vor ihm geöffnet und ein großer, mittelalterlich aufgebauter Stuhl fuhr daraus aus dem Boden hoch.

Dieser Stuhl wirkte nicht nur sehr unbequem, sondern Jim wusste instinktiv, dass er, sobald er sich auf ihn setzen würde, verloren hatte. Aber ihm war auch bewusst, dass dies vermutlich die einzige Chance war, Blair wieder zu finden.

Dennoch, in das offene Messer wollte er dieser Kreatur nicht laufen.

Eine Mischung aus zischend und flüsternder Stimme befahl ihm: "Setz dich, MENSCH." Das Wort "Mensch" klang abwertend. Verachtend. Boshaft.

Jim blieb starr stehen und suchte den Raum nach der Kreatur ab. Aber neben den nackten Steinwänden gab es nur inmitten des Saales diesen Stuhl, der bei näherem Betrachten fast wie einer dieser elektrischen Stühle aussah: Es gab viele Stränge, an denen die sitzende Person festgebunden wurde. An den Hand- und Fußgelenken gab es eiserne Schellen, die dafür sorgen sollten, dass der Gefangene nicht entkommt.

"Setz dich!", herrschte die Stimme den Sentinel erneut an. Die Kreatur wurde ungeduldig.

Jim schüttelte den Kopf. "Nein", erwiderte er schlicht. "Wo ist mein Freund?", forderte er stattdessen und starrte auf die Wände. "Was hast du mit ihm getan?", schrie er in den leeren Raum.

Als Antwort erhielt er ein leises und gehässiges Lachen. "Du bist sehr anmaßend, MENSCH. Du solltest mehr Respekt zeigen. Aber diese Lektion musste dein ‚Freund' ebenfalls schon lernen."

Plötzlich schoss der Stuhl auf Jim zu. Die Sitzfläche schlug von hinten in seine Kniekehlen und er wurde unfreiwillig auf den Stuhl geworfen, eher er anders reagieren konnte. Sofort versuchte er wieder aufzustehen, aber wurde von zwei kräftigen Händen dabei gehindert und zurück gedrückt.

Der Sentinel blickte sich um und starrte direkt in das hässlich vernarbte Gesicht eines Mannes. Die Haut war aschgrau, die Augen blutunterlaufen. Das Monster grinste ihn schadenfroh an und dabei wurde eine weitere Narbe, die über das gesamte Gesicht verlief, besonders deutlich sichtbar.

Die Kreatur beugte sich zu ihm herunter, bis sie mit dem Kopf in der Höhe seiner Ohren war. Die unnatürlich kräftigen Arme hielten Jim in Schach, der versuchte, sich aus dem eisigen Griff des Monsters zu befreien.

Die aschgrauen Hände führten Jims Arme auf die Stuhllehnen und sobald der Unterarm diese stählerne Stütze erreicht hatte, schnellte mit einem Klick die eiserne Schelle um das Handgelenk des Sentinels. Hilflos musste Jim mit ansehen, wie er zuerst die Kontrolle über seine Arme und schließlich über seine Beine verlor.

"Die wirst du nicht mehr brauchen", flüsterte ihm der Fremde in das Ohr. In dem gleichen Moment wurde Jim mit einer enormen Wucht die Pistole aus seiner rechten Hand gerissen und schlitterte an das andere Ende des Saales. Wie von "Geisterhand", denn das Biest bewegte sich dabei nicht einen Zentimeter.

Das Monster wechselte seine Position und flüsterte nun aus nächster Nähe in das andere Ohr des Sentinels: "Du bist zu spät für deinen Freund."

Plötzlich riss es den robusten Stuhl herum und Jim sah sich einer Art riesigen Leinwand gegenüber. Die Steine waren noch immer zu sehen, aber wie bei einer Art Hologramm wurde davor ein halbdurchsichtiges Bild projektiert, das Jims Adern gefrieren ließ: Blair Sandburg, regungslos auf dem kalten Boden liegend. Irgendwo in einem Teil dieses Gebäudes.

"Du Schwein! Was hast du mit ihm gemacht!" Plötzlich kochten Jims Adern, vor Wut auf die Kreatur, die es gewagt hatte, seinen Guide anzugreifen. Die es gewagt hatte, den Guide zu verletzen. Oder vielleicht schlimmer… ihn zu töten?

Das gehässige Gelächter hallte durch den großen, leeren Raum. "Ich wusste, du würdest dich amüsieren, MENSCH." Ein Lächeln ließ erneut die große Narbe erscheinen.

Das Monster beugte sich dicht über Jims wehrlosen Körper. "Soll ich ihn für dich von seinen Qualen erlösen?", flüsterte es und musterte den Sentinel in jedem Detail und blieb mit seinem Blick bei den stahlblauen Augen hängen. Wut spiegelte sich darin wieder und das Biest erlabte sich daran.

Es stellte sich auf und sah herablassend auf den Menschen hinab. "Ich gebe zu, ich hatte meinen Spaß mit deinem Freund", fuhr das Monster verschmitzt fort, nachdem Jim es vorgezogen hatte, nicht zu antworten.

"Er war widerspenstiger, als ich es ihm zuerst zugetraut hatte." Die Kreatur musterte das projektierte Bild. "Es wäre mir ein Leichtes, sein Leben hier und jetzt zu beenden."

"Wenn du ihm nur noch ein Haar krümmst, bring ich dich um!", knurrte Jim. Und es war mehr als eine Drohung von dem Freund Jim Ellison an einen Widersacher, es war ein Versprechen, das der Sentinel an ein Geschöpf abgab, das sein Guide bedrohte.

Aber dieses Geschöpf ließ sich nicht beeindrucken. "Du bist noch etwas zu vorlaut für meinen Geschmack", erwiderte es etwas erbost. Es hatte mit einem Betteln und Flehen gerechnet. Stattdessen wagte es der Mensch, ihm zu drohen.

Das Monster streckte seine rechte Hand aus und hielt die Handfläche offen. Schließlich begann es langsam und mit angespannten Muskeln eine Faust zu bilden. Es wirkte so, als wollte es in seiner Hand langsam etwas zerquetschen.

Die Faust schloss sich allmählich und plötzlich war auf der Projektion zu erkennen, wie Blair begann, sich zu winden. Er stöhnte in Schmerzen und zuckte, je mehr sich die Hand des Monsters krümmte. Jim musste hilflos mit ansehen, wie aus Wimmern peinerfüllte Schreie wurden.

"Hör auf!", schrie er verzweifelt. "Bitte hör auf!" Er zerrte an seinen Fesseln, begierig, seinem Freund irgendwie zu helfen.

Schallendes Gelächter war die einzige Antwort, bis die Faust des Monsters sich endgültig schloss. Die Knöchel der Kreatur waren weiß vor Anspannung. Und Jim blieb nichts anderes übrig, als fassungslos auf das schreckliche Bild vor sich zu starren, auf dem ein nun regungsloser Blair mit einem letzten Zucken und einem schmerzerfüllten Schrei in sich zusammengesackt war.

"Nein!", schrie Jim laut auf, bis seine Lunge brannte. Blair durfte nicht tot sein. Sein Guide durfte nicht sterben.

Ein fast unmenschliches Grollen drang aus der Kehle des Sentinels und ein hasserfüllter Blick durchbohrte die Kreatur, die für einen kurzen Moment ihr schadenfrohes Grinsen auf ihrem vernarbten Gesicht verlor. Es hat mit Verzweiflung, Trauer und auch Wut gerechnet, aber die Reaktion des Menschen im Stuhl vor ihm, überstieg jede Erwartung.

Wieder labte das Monster sich an der Wut und an dem Hass des Menschen. Doch der eiskalte Blick und das bedrohliche Grollen lösten einen Anflug von Furcht in dem Wesen aus. Der Mensch wirkte nicht mehr länger unterlegen, er war nun mächtiger geworden und dem Biest sogar ebenbürtig.

Begierig nahm es die Herausforderung an.

"Gefiel dir das, MENSCH?", flüsterte es tief und herausfordernd. Der Sentinel begann zu knurren.

Verschmitzt betrachtete das Monster die Projektion. "Möchtest du zu deinem Freund?" Es trat um den Stuhl herum, genoss die Macht, die es über den Menschen hatte. "Willst du zu ihm?"

Ein weiteres Knurren war alles, was die Kreatur als Antwort benötigte. Der Stuhl bewegte sich plötzlich und der Sentinel versuchte erneut, sich von den metallenen Fesseln zu befreien. Er zerrte, aber konnte sich nicht losreißen. Frustriert erkannte er, dass sich plötzlich die Falltür unter dem Stuhl öffnete und bevor er weiter reagieren konnte, fühlte er bereits den freien Fall in eine ungewisse Finsternis…

Fortsetzung folgt


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