Lichterwahn

von Mella


Kennen Sie auch diese Krankheit? Diesen gemeinen, hinterhältigen Virus, der Tausende und Abertausende von Menschen alljährlich - meistens zur Vorweihnachtszeit - befällt? Dieses unwiderstehliche Verlangen, sein mühsam erarbeitetes Einkommen in Lichterketten und andere weihnachtliche Dekorationsartikel umzusetzen? Diese Krankheit, die erst dann wieder abflaut, wenn jedes Regal, Geländer oder Schränkchen im Loft und jedes Pflänzchen im Umkreis von fünfzig Yard - sprich unser Balkon mit einer einsamen, eingetopften Tanne, die dann nach Weihnachten wieder ein glückliches Plätzchen in Mutter Natur finden kann - mit Lichterketten behängt, umwickelt und verwickelt ist.

Glücklicherweise hat mein Mitbewohner aber noch so viel Sinn für Dekoration, dass selbst er vor bunten Lichterketten oder blinkender Dauerbeleuchtung zurückschreckt. Ich denke, selbst wenn - nur rein theoretisch betrachtet - alle mit Weißlicht ausgestatteten Lichterketten ausnahmslos ausverkauft wären, würde er sich nicht dazu hinreißen lassen, aus schierer Not buntfarbene zu kaufen. Eher würde er einen kurzen Umweg nach Seattle billigend in Kauf nehmen, als dieses Sakrileg zu begehen.

Aber wenn ich es jetzt mal genau betrachte ... gesetzt den Fall, dass es in Seattle auch keine einzige weiße Lichterkette mehr gäbe ...? Denn immer mal wieder muss eine defekte Lichterkette gegen eine neue ausgetauscht werden. Was eigentlich eine Schande ist, denn meistens ist immer nur ein kleines unschuldiges Birnchen Ursache des Nicht-Leuchten-Wollens. Aber finden Sie diese Schuldige erst mal bei 100 Lämpchen? Außerdem rechnet sich nach Meinung meines Mitbewohners der Aufwand des Lokalisierens nicht - bei den kleinen Preisen. Aber lassen Sie uns darüber lieber nicht weiter nachdenken.

Die Stromrechnung schnellt dafür - wen wundert's - in der Vorweihnachtszeit in astronomische Höhen - und unsere Stehlampe im Wohnzimmer flackert gegen fünf Uhr nachmittags beständig, vermutlich wegen der akuten Dauerbelastung des gesamten Stromnetzes in unserer Straße. Denn - wie bereits eingangs erwähnt - befällt dieser Virus, in Verbindung mit dem ordinären Dekorationsbazillus, ja nicht nur meinen Mitbewohner, sondern vermutlich jedes Wesen in unserer Straße.

Es wird gesagt, dass vom Weltall aus die Stadt Perth in Australien die am deutlichsten sichtbare Stadt auf der Erdkugel ist, was an den vielen Lichtern im Kontrast zu dem dunklen Outback liegt. Aber ich bin der Ansicht, wenn die Astronauten in der Vorweihnachtszeit mal einen genaueren Blick auf Cascade - genauer gesagt auf die Prospect Avenue - werfen würden, würden sie diese Aussage schnell revidieren.

Wie gesagt, irgendwann flaut auch die schlimmste Krankheit wieder ab und wir können ein geruhsames, meistens hell erleuchtetes Weihnachtsfest verbringen. Wenn dann nur nicht die Abräumphase folgen würde, die leider - im Gegensatz zur Dekorationsphase - schon mal bis ins Frühjahr hinein andauern kann. Aber das ist eine andere Geschichte.

Ende

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