Disclaimer: Jim und Blair gehören leider nicht mir, sondern Pet Fly Productions und Paramount Pictures.

Vielen, vielen Dank an Pat für ein superschnelles Beta, treffende Formulierungsvorschläge und den Titel. :-)


Lichter

von Sinaida



"Es ist nicht zu glauben! Ich fass' es nicht, dass wir Ramirez einfach so laufen lassen mussten. Bei der Beweislage. Mein Gott, langsam habe ich das Gefühl, die Stadt ist voll von Abschaum, der machen kann was er will und auch noch das Gesetz auf seiner Seite hat." Blair fuhr sich wütend mit der Hand durch die Haare.

Jim warf seinem aufgebrachten Partner einen kurzen Blick zu ehe er sich wieder darauf konzentrierte den Truck durch die verschneiten Straßen des nächtlichen Cascade zu lenken. Seit sie die Tiefgarage des Präsidiums verlassen hatten erging sich Sandburg in Tiraden über die Ungerechtigkeit der Welt im Allgemeinen und des Falles Ramirez im Besonderen.

"Ich meine, was soll dieser Schwachsinn, von wegen er wäre ‚nicht angemessen über seine Rechte belehrt' worden? Fällt diesem… diesem Schleimer von Rechtsanwalt nichts Besseres ein?" Blair schnaubte verächtlich.

Jim zuckte müde mit den Schultern. "Warum? Hat doch wunderbar geklappt. Sein Mandant ist auf freiem Fuß, was will er mehr?"

Die Bemerkung trug ihm einen fast anklagenden Blick ein. "Hey, Mann, was soll das jetzt? Willst du damit sagen, er hat *Recht?*"

"Sandburg, ich will gar nichts sagen, außer, dass Ramirez frei ist - warum auch immer - dein Gezeter auch nichts daran ändert und ich nicht den Rest des Abends mit Diskussionen über den Sinn und Unsinn der amerikanischen Rechtsprechung verbringen möchte." Er streifte seinen Partner mit einem flüchtigen Blick. "Klar?"

Blair trommelte mit den Fingern auf das Lederpolster des Sitzes, ein eintöniges Stakkato, das an Jims Nerven zerrte.

"Fein. Klar. Und wie willst du den Abend dann verbringen? Weihnachtslieder singen? Von Frieden auf Erden, Liebe und Seligkeit?"

Blairs ätzender Tonfall ließ seinen Partner aufhorchen. Derart scharfe Bemerkungen waren sonst nicht Sandburgs übliche Art.

Jim nutzte den Halt an einer roten Ampel um den neben ihm sitzenden Mann genauer zu mustern; beobachtete das nervöse Tappen seines Fußes, die unruhigen Finger, mit denen er geistesabwesend den Sitz bearbeitete oder sich wieder und wieder durchs Haar fuhr.

Domenico Ramirez und sein nach teurem Aftershave und billigen Tricks riechender Anwalt waren nur der krönende Abschluss einer höllischen Woche und offensichtlich ging das Ganze seinem Partner mehr an die Nieren als Jim erwartet hatte.

Als die Ampel wieder auf grün schaltete, folgte Jim einer plötzlichen Eingebung und bog nach Rechts ab, anstatt geradeaus Richtung Prospect zu fahren.

Es dauerte ein paar Minuten, bis Blair den Richtungswechsel bemerkte. "Jim? Wohin fahren wir?"

"Ich will dir was zeigen."

"Jetzt? Oh Mann, komm schon, ich bin total erledigt."

"Es lohnt sich, glaub' mir."

Ohne weitere Erklärungen folgte er einer Ausfallstraße, die in die Berge führte. Schon nach ein paar hundert Metern waren die hellen Kegel ihrer Autoscheinwerfer die einzigen Lichter weit und breit.

"Jim?"

"Wir sind gleich da."

Wenige Minuten später hielten sie am Ende eines Schotterweges, mitten im Wald.

"Hier ist es. Steig aus."

"Was?" Blair drückte sich tiefer in den Sitz und zog seine Jacke um sich. "Es ist eiskalt."

Jim rollte die Augen. "Du wirst es überleben. Komm schon."

Unter obligatorischem Protestgemurmel verließ Sandburg das Auto. "Mann, es ist stockdunkel hier."

"Ich weiß." Einen Augenblick später fühlte Blair Jims Hand in seinem Rücken. "Hier entlang." Auf die Nachtsicht seines Sentinels vertrauend, ließ sich Blair ein Stück vom Wagen wegführen.

Es raschelte, als Jim etwas Gestrüpp zur Seite schob und sie auf eine Lichtung hinaustraten. Sie standen auf einem der kleineren Hügel der Cascade Mountains. Unter ihnen bot sich ein atemberaubender Blick auf die weihnachtlich geschmückte Stadt. Straßenlaternen, Christbäume in einigen Vorgärten und von Lichterketten hell erleuchtete Fenster vereinigten sich zu einem funkelnden Lichtermeer, strahlend und wunderschön. Wo der Horizont sein sollte verschmolzen Himmel und Erde miteinander und das glitzernde Leuchten der Stadt setzte sich in dem kalten Funkeln der Sterne fort. Der Mond stand tief und schien zum Greifen nahe.

Jim trat hinter seinen Partner und legte ihm die Hände auf die Schultern.

"Keine Weihnachtslieder, Chief. Und auch sicher nicht überall Friede, Liebe und Seligkeit." Er drückte sachte die verspannten Muskeln unter seinen Fingern. "Aber manchmal braucht man einfach nur mal einen anderen Blickwinkel."

Blair schluckte und starrte wortlos auf das Panorama, das sich ihnen bot.

Mit einem tiefen Atemzug sog Jim die Reinheit der schneidend kalten Luft ein. Die wohltuende Stille und der grandiose Ausblick ließen die Spannung der letzten Tage von ihm abfallen, ersetzten sie durch ein Gefühl des Friedens und der Harmonie. Leise sagte er:

"Du hast Recht, Sandburg, es gibt eine Menge Typen wie Ramirez da draußen. Zu viele. Und sie alle zu erwischen ist unmöglich. Ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Aber es gibt auch noch Menschen, die Kerzen anzünden, die ihre Gärten mit Lichtern schmücken und dadurch zeigen, dass sie versuchen, den kleinen Teil der Welt, auf den sie einen Einfluss haben, etwas friedlicher und menschlicher zu gestalten." Er zuckte die Schultern. "Das jedenfalls sehe ich, wenn ich zur Weihnachtszeit von hier aus die Stadt betrachte. Und das sollten wir nicht vergessen. Sonst sind wir irgendwann nicht mehr in der Lage unsere Arbeit zu machen."

Es dauerte einen Moment ehe Blair mit rauer Stimme antwortete: "Ich weiß. Es ist nur manchmal nicht leicht daran zu denken. Gerade heute..."

Mit einem Lächeln entgegnete Jim: "Deswegen sind wir hier." Er drückte Sandburgs Schultern noch einmal und ließ die Hände dann in den Taschen seines Mantels verschwinden.

Blair fuhr sich kurz mit dem Jackenärmel über die Augen und räusperte sich.

"Es ist… schön hier." Er lächelte. "Naomi würde jetzt sagen: ‚Der Ort hat Magie'." Nach ein paar Sekunden fügte er leise hinzu: "Danke, Jim."

Sie standen noch einige Minuten so, entspannt und versunken in den Anblick der erleuchteten Stadt, bis die Kälte sie zum Auto zurück trieb.

"Windmühlenflügel... Don Quichotte, eh?" Blair zog die Augenbrauen hoch und musterte Jim als er die Beifahrertür öffnete. "Bin ich dann etwa Sancho Pansa?"

"Nur über meine Leiche."

"Gut." Blair wirkte überrascht, aber erfreut.

"Denn", erläuterte Jim, während er ins Auto einstieg, "das würde den Truck zu Rosinante machen. Und das will ich ihm nicht antun."


-- E N D E --


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