Das Drehbuch aus dem Internet


Ein Artikel über Serien-Fans im Internet
aus der TV-Zeitschrift "HÖRZU", Heft 46 v. 08. Nov. 2002


Die neue Macht der Fans: Wenn sie im Netz über ihre Lieblingsserien diskutieren, hören die Produzenten genau zu...

Da war dieser Junge. Xander. Die Drehbuchschreiber gaben ihm die besten Sprüche, aber bei den Fans kam er einfach nicht an. Zum Glück gab es da dieses Mädchen. Willow. Schlau und sehr beliebt. Und es gab den Hollywood-Produzenten Joss Whedon, der sich über die Wünsche seines Publikums zu informieren pflegt - im Internet, wo die Fans sich austauschen. Whedon reagierte prompt: "Die fanden ihn einfach uncool. Ich habe dann Szenen geschrieben, in denen Willow sich in den Knaben verliebte." Das wertete die Figur auf. "Und die Zuschauer akzeptierten ihn."
Die Serie, um die es ging, heißt "Buffy - Im Bann der Dämonen", läuft mittwochs auf Pro7 und gilt ob ihrer riesigen Online-Gefolgschaft als das erste wahre TV-Kind des Internet-Zeitalters. Und der erste Enkel, sagt Keith Topping, der vom Fan zum Experten wurde und jetzt Bücher über Kultserien schreibt, sei der "Buffy"-Ableger "Angel": eine Serie, "die buchstäblich im Netz geboren wurde." Viele Fans hatten sich in Buffys Vampir-Boyfriend verguckt, das Netz vibrierte, dem Produzenten war klar: Der Junge braucht eine eigene Show.

Web-Foren zu Fernsehserien beeinflussen zunehmend die Entscheider in Hollywood und anderswo. Es gibt Tausende dieser Online-Treffpunkte. Ob "Buffy", "Akte X", "Emergency Room", "Star Trek" oder "Dawson's Creek": Die Fans finden sich im weltweiten Netz, um nach den Sendungen auf logische Fehler hinzuweisen oder über die Charaktere zu lästern. Die Sprache ist meist Englisch, die Kritik oft harsch und manchmal geradezu philosophisch, wenn es etwa um Fragen von Seele oder Gewissen geht. Whedon und seine Kollegen haben längst kapiert, dass sie im Netz viel qualifizierte Rückmeldung bekommen als etwa über die Quoten.

Buhrufe im Internet
Jeffrey Abrams, dessen Agenten-Serie "Alias" im nächsten Jahr auf Pro7 läuft, schätzt vor allem die Unmittelbarkeit der Kommentare. Das sei, sagt er, wie sonst nur im Theater: "Da hört man den Beifall, und man hört, wenn die Leute Buh rufen. Genauso ist es im Internet." Sind die Fans gar zu verstimmt, können die Produzenten noch am Set reagieren. "Man lernt", sagt Whedon, "dass die Leute nicht alles hinnehmen."
Besonders kreative Anhänger nutzen die Serienfiguren für eigene Geschichten, die sie dann ins Netz stellen. Diese so genannte "Fanfiction" ist nicht immer jugendfrei, erreicht oft erstaunliches literarisches Niveau - und Millionen Leser in aller Welt. Offiziell sind die Drehbuchautoren gehalten, den Fanfiction-Seiten fernzubleiben, um gar nicht erst in die Versuchung zu kommen, Ideen zu "borgen". Aber was heißt schon offiziell...
"Buffy" läuft in den USA im sechsten Jahr. Es könnte die letzte Staffel sein: Die Titelheldin Sarah Michelle Gellar hört auf. Es könnte aber auch weitergehen - mit einer neuen Vampirjägerin. Zwei Figuren kommen dafür in Frage - alle Möglichkeiten werden derzeit in den Foren heiß diskutiert. Die Fans dürfen mit der besonderen Aufmerksamkeit des Produzenten rechnen.

Ira Panic, HÖRZU, Heft 46 vom 08. Nov. 2002
Ich habe keinerlei Rechte an diesem Artikel, muss aber sagen, dass mir die erst vor wenigen Monaten durchgeführte "Verjüngungskur" der HÖRZU sehr gut gefällt. Artikel wie diese zeigen, dass die TV-Zeitschrift am Puls der Zeit liegt. Weiter so!